Anpassungsfähig bleiben und aus Erfahrungen lernen
Interview mit Start-up
Das Start-up „hoλos“ von Absolventen der HAW Hamburg ist seit 2020 auf Erfolgskurs. Die junge Firma hat sich auf Augmented Reality (AR), Künstliche Intelligenz (KI) und einem 3D-Parallaxeffekt spezialisiert. Die Master-Absolvent*in Marie König und Mohamad Hamed Jalalzada kommen von der HAW Hamburg und arbeiten mit Kollegin Ekaterine Gelashvili im Team.
Ihre Gründungsidee: ein intelligentes System zur Reduzierung von Ablenkung am Steuer. Für dieses Vorhaben erhielt das Start-up ein Jahr lang Unterstützung des bundesweiten Gründungsprogramms EXIST vom Bundesministerium für Wirtschaft. Wir haben mit den Gründer*innen Mohamad Jalalzada und Marie König zu ihrer Idee gesprochen und gefragt, wie sie als Unternehmensneulinge durch die Corona-Zeit gekommen sind:
Können Sie einem Laien in einfachen Worten Ihre Gründungsidee beschreiben?
Marie König: Wir wollen ein 3D-Navigationssystem in das Auto einbauen. Dabei sollen die Fahrer*innen alle wichtigen Infos auf der Windschutzscheibe sehen, also zum Beispiel Navigationsinformationen, Warnungen zu Hindernissen auf der Straße und komplizierte Verkehrssituationen. Der Vorteil von unserem System ist, dass die Fahrer*innen den Blick nicht von der Straße abwenden müssen, um auf einen externen Bildschirm zu schauen, denn das bedeutet, dass sie quasi im Blindflug fahren, was ein hohes Unfallrisiko birgt. Eine Sekunde Ablenkung bedeutet bei Ortsgeschwindigkeit 14 Meter blind zu fahren, das ist schon sehr viel, gerade auf engen Straßen in der Stadt.
Wir integrieren unser transparentes Foliendisplay in die Windschutzscheibe und bringen zwei Kameras an – eine, die die Fahrer*innen und eine, die die Straße scannt. Die Fahrenden können die dargestellten Informationen aus allen Winkeln sehen, was gegenüber dem relativ neuen Head-up-Display (wörtlich: „Kopf-oben-Anzeige“) einen großen Vorteil darstellt, denn dort können Inhalte nur aus einem bestimmten Blickwinkel gesehen werden.
Wie hat die Automobilindustrie auf Ihr Produkt reagiert?
Mohamad Hamed Jalalzada: Noch in unserer Förderzeit durch EXIST sollte ein Pilotprojekt mit einem Autozulieferer realisiert werden. Dann kam der Lockdown und es wurde auf Eis gelegt. Von den großen Autoherstellern hieß es, dass Produkt sei nicht marktreif und sie selbst müssten noch Geld in die Hand nehmen. Auch bei ihnen hatte die Pandemie zunächst für Verunsicherung gesorgt und so bewegte sich nichts mehr. Aber wenn die Pandemie vorbei ist, soll das angedachte Pilotprojekt realisiert werden, diese Chance besteht noch.
König: Einerseits fördert die Automobilindustrie mit Stipendien, Accelerator-Programmen und Wettbewerben die Start-Ups. Andererseits sind die Kommunikationswege zu den Entscheider*innen und Chefetagen extrem lang, was für uns ungünstig ist. Oder sie wollen ein interessantes, junges Unternehmen gleich aufkaufen und deren Mitarbeiter*innen einstellen. Insgesamt wird oft jeder Cent umgedreht und es gibt wenig Spielräume. Unser 3D-Navigationssystem haben wir gerade als Patent angemeldet, auch um unsere Idee zu schützen.
Hat sich die Pandemie auf die Entwicklung Ihres Start-Ups ausgewirkt?
Jalalzada: Das Schöne an einem Start-Up ist, dass es sehr vielschichtig und wendig ist. Wir hatten ein Jahr lang durch die Förderung durch EXIST Zeit, unsere Gründungsidee umzusetzen. Danach war es Corona-bedingt schwierig weiter zu machen. Wir konnten aber schnell reagieren und haben uns Mitte 2020 auf „Digital out of Home“-Werbung (DOOH) konzentriert. Das sind die großen Displays, die man draußen aber auch im Innenbereich von Shopping-Centern sieht. Wir wollten den wiederaufgelebten Einzelhandel nach dem ersten Lockdown mit personalisierter Werbung unterstützen.
Unser Motto ist: Jede Scheibe mit digitalen Inhalten bespielen und damit zu einer Anzeigenfläche machen. Durch optische Sensoren, die wir an dem Bildschirm anbringen, führen wir Analysen durch und bestimmen so die Käufergruppe, der dann gezielt Werbeinhalte gezeigt werden. Wir sind quasi die Schnittstelle zwischen zum Beispiel der Firma Ströer für Außenwerbung und dem personalisierten Kunden, die Inhalte kommen von den Unternehmen.
Mit dem zweiten Lockdown musste der Einzelhandel wieder schließen, was dazu führte, dass wir uns auf den Onlinehandel fokussierten. Aber es fehlten uns die Begegnungsmöglichkeiten mit Interessierten für die Idee. So haben wir unser Netzwerk aus EXIST-Zeiten reaktiviert und darüber Kontakte zu Branchenvertreter*innen aus der Industrie geknüpft. Das hat gut geklappt. So kamen wir von der Automobilindustrie zum Einzelhandel und schließlich zum Onlinehandel. Eigentlich sind wir dank Corona ein perfektes Beispiel, wozu ein Start-Up fähig ist, wenn es anpassungsfähig bleibt und aus Erfahrungen und Fehlern lernt.
Inwieweit baut Ihr neues Projekt eines KI-basierten „Outfittery“ darauf auf?
König: Viele Menschen sind unsicher, was sie vor allem bei besonderen Anlässen wie Bewerbungsgesprächen oder Feiern anziehen sollen. Deshalb haben wir eine virtuelle Style-Beratung und personalisierte Inspirationsquelle konzipiert, die auf künstlicher Intelligenz (KI) basiert. Unser System, der „hoλos-Button“, wird in dem Online-Shop eines Unternehmens zum Beispiel bei H&M integriert und unsere KI macht zehn Vorschläge für ein personalisiertes Outfit. Dazu muss zunächst am besten ein Ganzkörperfoto oder ein Porträt hochgeladen werden, aus dem unsere KI dann unter Anderem das Alter, Geschlecht, sowie den Farbtyp analysiert. Zudem wird der Anlass abgefragt, ob es sich beispielsweise um ein Vorstellungsgespräch handelt. Unser System stellt dann zehn Outfits mit perfekt für den Nutzer abgestimmten Produkten zusammen, die die Person vor dem Kauf virtuell anprobieren kann.
Unser Algorithmus greift dabei auf den vorhanden Fashion-Bestand eines Mode-Unternehmens zurück und kann jederzeit ergänzt werden mit weiteren Eigenschaften oder Produktinformationen. Der Vorteil ist, dass die Kundin oder der Kunde genau das Outfit kauft, das ihr oder ihm am besten steht und gefällt, so dass es weniger Retouren im Versand gibt. Derzeit wird jedes zweite Kleidungsstück zurückgeschickt, was enorme Verpackungsmengen bedeutet. Deshalb kann unser KI-basiertes Outfittery deutliche Vorteile für den Onlinehandel bringen und Ressourcen schonen.
Kann darin auch bereits gekaufte Kleidung eingebunden und so Ressourcen geschont werden?
Jalalzada: Ja, ein zweiter Weg ist, dass die Käufer*innen schon ein Kleidungsstück haben, aber sie nicht wissen, was dazu passt. Nach einer Erhebung von Karstadt haben 60 Prozent der Menschen Kleidungsstücke im Schrank, die sie nicht anziehen, weil sie nicht wissen wie sie diese kombinieren sollen. Unsere KI hilft hier weiter. Eine Kundin lädt beispielsweise einen roten Rock zusammen mit einem Porträtfoto hoch. Unser System erkennt das Kleidungsstück und findet die passenden Elemente dazu. Die Kundin erhält wieder jeweils zehn Vorschläge, wobei der Rock immer neu kombiniert wird. So muss der Rock nicht weggeworfen werden, sondern wir machen Vorschläge, wie dieser am besten eingesetzt werden kann. Vor allem Männer haben, wenn sie shoppen, ein klares Ziel vor Augen und orientieren sich an Schaufensterpuppen oder Models. So eine Inspirationsquelle wollen wir darstellen.
Ist das Projekt eine Antwort darauf, dass derzeit nicht physisch eingekauft werden kann?
König: Ja, wir wollen mit unserem KI-basierten Outfittery schon ein wenig das Shopping-Erlebnis simulieren, das gerade wegfällt. Denn Shoppen macht ja auch Spaß und soll weiterhin Spaß machen. Zudem können die Kund*innen mit uns Zeit sparen, da sie gezielt beraten und inspiriert werden und nicht unnötig suchen und Zeit verlieren. Viele sind ja auch mit der bestellten Ware unzufrieden, schicken diese aber nicht zurück, da das für sie zu nervig ist. Das soll mit dem „hoλos-Button“ anders werden.
Derzeit suchen wir nach einem Unternehmen, das unser System im Rahmen eines Pilotprojekts bei sich auf der Homepage integriert. Mit einigen Firmen führen wir dazu gerade Gespräche und sind für die Zukunft positiv gestimmt.
Liebe Frau König, lieber Herr Jalalzada, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Interview: Katharina Jeorgakopulos
Quelle: HAW Hamburg